Die Konferenz "Bzzzz" hat die gesamte Musikbranche an einen Tisch gebracht. Deren Potenzial als Wirtschaftsmotor ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Auf dem Dach der Wiener Staatsoper sind seit 14 Jahren Bienen daheim. Etwa 30 Sekunden bräuchte eine von ihnen zum Stadtkino im Künstlerhaus, wo es am Donnerstag und Freitag genauso summte und brummte wie in einem Bienenstock. Zwei Tage lang ging dort nämlich die heimische Musikbranche bei der hochkarätig besetzten zweiten Auflage der "Bzzzz – Konferenz der österreichischen Musikwirtschaft" ein und aus.
Im Zentrum stand dabei die Frage, wie der Musiksektor gestärkt werden kann, um noch mehr zur heimischen Wirtschaft beitragen zu können. Und dazu brachten der Fachverband der Film- und Musikindustrie (FAMA), der Verband der österreichischen Musikwirtschaft (IFPI Austria), die Verwertungsgesellschaft AKM und der Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und MusikproduzentInnen Österreichs (VTMÖ) die verschiedensten Beteiligten an einen Tisch: ein vielfältig besetztes Panel diskutierte über Gleichstellung und Inklusion in der Programmierung von Radio und Festivals und wie es um die Situation der Musikschaffenden selbst in Österreich bestellt ist; Musikwirtschaft-Start-ups erklärten den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Social-Media-Arbeit und Verwertungsrechte bei Musik-Events; und zwei Arbeitsgruppen erläuterten Forderungen für eine Musikstandortstrategie, die der nächsten Bundesregierung als Leitlinie dienen soll.
Förderungen als Anschub für den Wirtschaftsmotor
Die Musikerin, Komponistin und Produzentin Sophie Lindinger fand im Spotlight-Interview im Rahmen der "Bzzzz" klare Worte: „Nur weil man in Österreich ‚Erfolg‘ hat, heißt das noch lange nicht, dass man sich sein Leben damit finanzieren kann.“ Sie persönlich habe das Glück, von ihrer Musik ihre Miete bezahlen zu können. „Dies ist aber nach wie vor von sehr vielen Faktoren abhängig, und es gibt leider nichts, das mir langfristig die Sicherheit gibt, dies auch weiter zu können.“ Wenn also in der jüngsten großen Studie zur Wertschöpfung der Musikbranche, die im Mai veröffentlicht wurde, die Rede von einem Kern von rund 7.000 Musikschaffenden war, die von ihrer Musik leben können und den Musikmarkt mit einer Wertschöpfung von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr und 117.000 generierten Jobs zu einer der wichtigsten Branchen in Österreich machen, darf man sich darunter nicht 7.000 Großverdiener:innen vorstellen.
Es ging aber bei der "Bzzzz" insgesamt nicht darum, die Situation schlechtzureden, sondern im Gegenteil sollte aufgezeigt werden, welches riesengroße Potenzial immer noch in der Musikbranche schlummert und welche strukturellen Änderungen erforderlich wären, um es auszuschöpfen. Denn wer diesen Sektor nachhaltig festigt, stärkt die gesamte Wirtschaft und sorgt im Endeffekt auch für höhere Steuereinnahmen. Somit kommt jeder als Musikförderung eingesetzte Euro vielfach wieder zurück. Das Thema Förderungen und die Frage, wie sie am besten genutzt werden können, war deshalb bei der diesjährigen Ausgabe der "Bzzzz" allgegenwärtig.
„Die Musiklandschaft braucht keinen Arzt, sondern einen Gärtner.“
Bereits in seiner Keynote zum Auftakt der Musikkonferenz betonte der Forschungskoordinator Virgo Sillamaa von European Music Exporters Exchange (EMEE), dass „die Politik die alten Gegensätze zwischen Kunst und Kommerz hinter sich lassen und einen ganzheitlichen, langfristigen Ansatz verfolgen muss“. Um in diesem Ökosystem, wo sich Künstler:innen, Fachleute und Unternehmer:innen täglich auf einem herausfordernden Terrain bewegen, von den Vorteilen eines reichen Musiklebens zu profitieren und einige einzigartige kulturelle und kommerzielle Erfolge zu erzielen, ist eine blühende Basis unabdingbar. Deshalb, so Virgo Sillamaa in Richtung Politik, „braucht die Musiklandschaft in Österreich keinen Arzt, sondern einen Gärtner“.
Eine Plattform, „um die Musikwirtschaft in all ihren Farben zu versammeln“
Die Musikkonferenz ist dabei für den Label-Berufsgruppenvorsitzenden Hannes Tschürtz„eine längst überfällig gewesene Plattform, um die Musikwirtschaft in all ihren Farben zu versammeln und eine Dialogfläche miteinander und auch für die Politik zu bieten“. Diese lud AKM-Präsident Peter Vieweger ein, „mit uns gemeinsam eine zukunftsweisende und nachhaltige Strategie für die österreichische Musikbranche zu entwickeln“.
Für Hannes Tschürtz haben die zwei Tage "Bzzzz" gezeigt, dass auch sehr viele unterschiedliche und meist einzeln agierende Player enorm viele gemeinsame Interessen haben. Deshalb war neben einer Verbesserung der Strukturen auch eine verstärkte Vernetzung der gesamten Branche ein großes Thema. „Die Musikwirtschaft besteht aus vielen Kreativzellen, die arbeitsteilig und gut vernetzt zusammenarbeiten und dabei sehr beachtliche wirtschaftliche Impulse auslösen“, stellte dazu IFPI-Geschäftsführer Franz Medwenitsch am Freitag fest. „Wir brauchen einen Masterplan für den Standort, dürfen uns von internationalen Entwicklungen nicht abkoppeln und müssen uns auch aktiv dem Thema Künstliche Intelligenz stellen.“
„Wir sind bereit!“
„Spätestens seit der Studie wissen wir auch, welche Kraft und welches weitere Potenzial hinter einem gemeinsamen Vorgehen stecken“, ergänzte Hannes Tschürtz. „Ich denke also, wir haben in der Vorarbeit und den Gesprächen hier wichtige Eckpfeiler für eine künftige Musikstandortstrategie definieren können: mehr strukturelle Unterstützung, bessere Bildungsangebote, kluge Vernetzungsangebote. Wir sind bereit!“
Jetzt gehe es darum, „die Erkenntnisse der Studie in Taten umzusetzen, um den Kernbereich der heimischen Musikwirtschaft und seine Partnerinnen und Partner zu stärken“, so Georg Tomandl (Obmann-Stellvertreter sowie Vorsitzender der Berufsgruppe Tonstudios im Fachverband der Film- und Musikwirtschaft).
Musik betrifft nicht nur Kultur-, sondern auch Wirtschaftspolitik
Wie genau das am besten geschieht, soll in einem Paper zusammengefasst und dieses der nächsten Bundesregierung übergeben werden. Wichtige Punkte dafür haben die beiden Arbeitsgruppen am Donnerstag aufgezeigt: Zum Beispiel wäre es höchste Zeit, Musik als Wirtschaftsfaktor stärker im zuständigen Wirtschaftsministerium zu verankern, „damit Musik nicht nur eine Sache der Kulturpolitik ist“, fasste töchtersöhne-Agenturchef Matthias Pirngruber ein Ergebnis der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe zusammen. Weitere Wünsche sind jener nach einem eigenen Musikstandortgesetz und nach mehr Förderungen nicht bloß für einzelne Künstler:innen und Tourneen, sondern auch für die gesamte Infrastruktur. „Es braucht entsprechende Auftritts- und Proberäumlichkeiten“, so Matthias Pirngruber.
In der von Susanne Lontzen von der Verwertungsgesellschaft AKM geleiteten Arbeitsgruppe kam einmal mehr zutage, wie wichtig Transparenz und Informationen sind: „Vielen Musikerinnen und Musikern fehlt schlicht das Praxiswissen, wie sie ihre Rechte am besten verwerten können.“ Ein weiteres Problem: Die persönliche Weiterentwicklung als Künstler:in leidet, wenn man alle Ressourcen in die Selbstvermarktung und den Aufbau der Karriere stecken muss. Hier bräuchten kleine Acts am Beginn der musikalischen Laufbahn mehr Unterstützung.
Förderungen – und die entsprechend ausgelösten Effekte – sind auch ein Thema, wenn es um die bessere Vernetzung von Film- und Musikbranche geht. „So nahe beisammen diese Kunstrichtungen liegen, so weit auseinander agieren Film und Musik“, stellte dazu Hannes Tschürtz fest. „Damit sind wir in Österreich nicht alleine, das ist ein internationales Problem.“
Lehre für Musikmanagement und tägliche Musikstunde
Und was wäre die Musikszene ohne das Management? Doch auch hier gibt es signifikanten Nachholbedarf. „Es braucht mehr Information, welche Jobs es in diesem Bereich überhaupt gibt“, so Susanne Lontzen. Ihre Arbeitsgruppe vermisst hier eine staatlich finanzierte Lehre, am besten als berufsbegleitende Ausbildung.
Und die Musik muss der breiten Öffentlichkeit besser vermittelt werden. Daher lautet eine Forderung, in der Schule eine tägliche Musikstunde einzuführen und den Job als Musikpädagog:in aufzuwerten. Andererseits „muss die Musik in Radio und Fernsehen auch gespielt werden, damit ihr vielfältiges Potenzial wahrgenommen wird“, betonte Peter Vieweger. „Zusätzlich braucht es professionelle Strukturen und finanzielle Unterstützung, die Wachstum ermöglichen und das österreichische Musikschaffen über die Grenzen hinaus transportieren.“
Musik aus Österreich muss auch gespielt werden
Denn derzeit fließt vor allem viel Geld ins Ausland ab – zu viel Geld, findet VTMÖ-Sprecher Alexander Hirschenhauser. Als Gründe dafür nannte er am Freitag einerseits die Macht der globalen Konzerne und Streaming-Plattformen – weshalb es aus seiner Sicht vor allem die Independent Labels sind, die für Innovationen und Produktionen sorgen, deren Erträge auch im Land bleiben – sowie andererseits die geringen Anteile von Musik aus Österreich im Radio und TV. Dass es auch anders geht, macht Radio FM4 vor. Dessen Chefin Dodo Gradištanac rechnete bei der "Bzzzz" vor, dass ihr Sender „im aktuellen Bemessungszeitraum 40 Prozent Österreicherinnen und Österreicher spielt. Und warum? Weil sie so gut sind! Wir feiern home grown music nicht wegen einer zu erreichenden Quote, sondern aus Überzeugung. Es ist Mission und Passion zugleich.“ Auch der neue Ö3-Chef Michael Pauser legte ein klares Bekenntnis zur österreichischen Musik ab, die seinem Sender „ein aktives Anliegen ist. Wir halten uns im Rahmen unserer Selbstverpflichtung an den bestehenden Anteil österreichischer Musik im Programm und werden es auch künftig tun.“ Wichtig sind ihm dabei auch qualitativ hochwertige und effektive Präsenze. „Das zeigen wir etwa durch die Ö3-Studiosessions oder die Platzierung österreichischer Künstlerinnen und Künstler auf großen Bühnen wie dem Donauinselfest oder beim Ö3-Weihnachtswunder."
Trotzdem: Es bleibt noch viel zu tun, um das Potenzial des heimischen Musikmarktes voll auszuschöpfen. Sophie Lindinger nannte hier gleich mehrere konkrete Wünsche an die Politik: einen ernstzunehmenden Umgang mit Musik und Kultur außerhalb der Klassik als essenziellen Bestandteil Österreichs; eine Besteuerung, die unregelmäßige Einkünfte von Kulturschaffenden berücksichtigt; mehr Repräsentation von österreichischer Musik nach außen hin; und „eine sinnvolle Veränderung, um von Fördergeldern in ein nachhaltiges Einkommen überwechseln zu können“. Das würde nicht nur den Musikschaffenden helfen, sondern auch Kulturstätten, Kulturveranstaltungen, Licht- und Tontechnik und all den anderen Wirtschaftszweigen, die an ihnen dranhängen – und damit der gesamten österreichischen Wirtschaft zugutekommen.
„Alle diese Themen, die bei der "Bzzzz" angesprochen wurden, kennen wir bereits. Wir wissen, was zu tun ist“, sagte Susanne Lontzen. Was es jetzt braucht, ist ein starker Partner, um sie umzusetzen – und dieser soll die Politik sein.
Weitere inhaltliche Berichte zum "Bzzzz"-Programm: www.wko.at/bzzzz